Raimund und das Kind im Manne
Wenn er mal richtig hemmungslos seinen Humor von der Leine lässt, dann tränt es in der Kabine. Raimund der Comedian bei der Fortuna. Selten so gelacht. Doch diesmal hält sich der Kluge erst einmal zurück. Der Mann ist doch nicht schmerzfrei. Die zwei Klatschen hintereinander mit 2:5 in Mahlsdorf und 2:4 am Grabensprung gegen Weißensee drücken auch auf das sonnigste Gemüt. Dabei weiß Raimund Kluge, der 44jährige Defensivmann, dass er sich nicht vom vierten Tor freisprechen kann. Geht aber sogleich in die Offensive:“ Wo war denn einer, der hilft, absichert ?“
Die Defensiv-Koordination – ein Kardinalproblem. 12 Gegentore in drei Spielen sind schlicht und ergreifend zuviel. Dabei fällt auf, dass sich die Fortuna in der Hälfte aller Spiele in die undankbare Rolle des Jägers bringt. In 8 von 17 Meisterschaftsspielen hieß es relativ schnell 0:1. Die Aufholjagd kostete zusätzliche physische und mentale Kräfte. Außerdem spielte diese Art Hurrafußball dem Gegner die meist bequemere Karte der Kontertaktik in die Hand.
In so eine komfortable Situation kam die Fortuna nie – es reichte nach dem 0:2-Schock nur noch durch die Tore von A. Weise und einem hochmotivierten Schicki Schickgram ( Klasse seine präzisen Pässe in die Spitze) zum vorübergehenden 2:2. Da der diesmal etwas glücklose Peter Wichmann (2 Alutreffer!) – im Gegensatz zum „verwandten“ Markus Rosenberg – die Chance zum Matchwinner verpasste, lösten das 2:3 und 2:4 allerhand Diskussionen aus. Die Kabine ein Mix aus resignativer Niedergeschlagenheit und verbalen Befreiungsschlägen. Da ein nachdenklicher Capitano Joerg Rieck, dort ein aufrüttelnder Jürgen Hinz
(„Unsere Körpersprache muß von Anfang an eine andere sein.“). In der Ecke ein sarkastischer Coach Dr.Gerd Schreiber („ Nach zwei Niederlagen muß auch der Trainer hinterfragt werden.Oder ?“ Fortuna ist doch nicht Schalke!) Ihm gegenüber ein sichtlich genervter Keeper Henry Rembach, am anderen Ende ein merklich gefrusteter Norbert Wollschläger, dessen Knie – und Fitnessprobleme ihn momentan noch daran hindern, seine individuelle Klasse einzubringen. Sicher, vieles sollte hinterfragt werden, aber intern, unaufgeregt. „Jetzt müssen wir eben Grünau weghauen“, gab Raimund Kluge die richtungweisende Order aus. Nicht ohne Augenzwinkern. Da schaute aus ihm schon wieder ein wenig Mario Barth mit der Botschaft heraus: „Männer sind primitiv, aber glücklich.“
Glücklich ? Das konnte der schnelle „Eisenfuß“ besonders nach dem 12. Spieltag sein. Den ganz starken Auftritt und die zwei Tore beim 6:3 gegen Neukölln Rudow honorierte auch Stückeschreiber Micha Schuth in gewohnter Political correctness. Das Ergebnis sei „letztlich Ausdruck einer geschlossenen Mannschaftsleistung, aus der R. Kluge nicht nur wegen seiner beiden Tore besonders hervorzuheben ist.“
War Raimund der Fußball in die Wiege gelegt worden ?
Auf jeden Fall: Seine Wiege stand in Berlin-Mitte. Der Spaßvogel trocken: „Gipsstraße 13, Hausgeburt, 1. Juni 1963, Kindertag…“ Das Kind im Manne wurde ihm quasi aktenkundig mit auf den Weg gegeben. Vater Siegfried, erst 1948 aus russischer Gefangenschaft zurückgekehrt, hatte es „im fünften Anlauf geschafft“. Raimund klärt auf: „Mein Vater wollte unbedingt einen Jungen. Vier Mädels hatte er schon im Haus. Der Mann hatte Humor…“
Vater Siegfried freut sich, dass der Sohnemann sportliche Ambitionen hat. Leichtathletik, Bahnradsport, Fußball – Raimund probiert alles aus und beginnt im Fußball mit 11 Jahren bei VEB Kühlautomat entsprechend seinen Neigungen „als Linksaußen“. Raimund vergisst nicht diesen
speziellen Status zu interpretieren: „Du weißt ja, Linksaußen und Torhüter, die haben was an der Waffel…“
Zu Hause hält Mutter Elisabeth ihre Hände schützend über das „komische“ Nesthäkchen, ebenso die vier älteren Geschwister Melitta, Roswitha, Ramona, Manuela. In der Schule bringt der redselige Junge sein Talent beim Rezitieren zur Geltung „und schon mal die Geographie-Lehrerin zum Heulen.“ Schicki Schickgram, der mit ihm in der 21. Oberschule seit Kindertagen gemeinsam die Schulbank drückt, bemerkt heute lakonisch:„Der Raimund konnte nie seine Klappe halten. Aber beim Fußball hatte ich ihn doch ziemlich im Griff.“ Schicki nimmt ihn zur Zellestraße mit, „auf den schwarzen Schlackeplatz.“ 1976 werden sie mit 12 Jahren in der Wuhlheide Kreisspartakiadesieger.Zwei Jahre später, 1978, trennen sich die Wege: Schicki wechselt zur Fußballschule des BFC Dynamo, stürmt neben Falko Götz, schafft schließlich den Sprung in die DDR-Juniorenauswahl (13 Einsätze). Und Raimund Kluge ? Er schielt zu den „Eisernen“ von Union. „Da hätte ich gern gespielt“, schwärmt Raimund jungenhaft. Doch dazu kommt es nicht. Einen Weg über die Kinder – und Jugendsportschule hätte in der Familie ohnehin keiner befürwortet. Die Erfahrungen der Ältesten, Melitta, mit der knallharten Disziplin des Internatslebens genügten Mutter Elisabeth, um „den Kleinen davor zu schützen.“ Melitta hatte es zur Ballett-Tänzerin geschafft, „ trat sogar an der Seite der Primaballerina Hannelore Bey auf.“ Der Kleine sollte einen normalen sportlichen Weg gehen. Raimund glaubhaft: „KJS war irgendwie nie ein richtiges Thema. Anders bei Schicki…“
Nach der Wende finden Schicki und Raimund 2005 bei Blau-Weiß wieder zusammen. „Als es dort den Bach runter ging“, erzählt Raimund, „ haben wir uns für Fortuna Biesdorf entschieden. Wir wussten, der Verein hat Tradition, einen guten Ruf.“ Seine Visitenkarte in dieser Saison: 11 Einsätze, 5 Tore. Manchmal muß er passen, „denn ich habe eine 6-Tage-Woche.“ Für die Speditionsfirma Inova liefert er „weiße Ware“ aus: Waschmaschinen, Kühlschränke, Trockner. Meist kann seine Lebenspartnerin Ines („Das Sportlichste an Ihr ist momentan ihre Figur. Ich will sie zum Schwimmen und Joggen animieren“) erst gegen 20 Uhr mit ihm rechnen. Sohn Paul, 17, aus erster Ehe, „ist auf Lehrstellensuche“ und nach erlahmten aktiven Fußballinteresse „eher ein Fernsehsportler“. Tochter Sarah, 21, „ist ein Tiernarr, pflegt ein Pferd, reitet, lebt in Leipzig.“ Raimund verschmitzt: „Mein Messemännchen. Stehe dazu.“
Der Kluge, eine Art Mario Barth. Raimund: „ Der Kerl ist eine Wucht. Wer das Olympiastadion zum Lachen bringt…“ Wir sind schon zufrieden, wenn am Wochenende in Grünau die Fortuna-Kabine wieder tränt.
Versprochen, Raimund ?
10 Fragen an den „Linksfuß“ Raimund Kluge
Was bedeutet Dir Fußball ? Ein Lebensgefühl. Selbst als ich nach einer Kniescheiben-OP neun Wochen einen Gipsfuß hatte, konnte ich nicht vom Fußball lassen. Ich habe eine Truppe trainiert – und mit Erfolg.
Dein Erfolgsgeheimnis ? Ehrgeiz. Siegeswille, Schnelligkeit. Dabei ein Lächeln auf den Lippen.
Was motiviert Dich ? Der Erfolg.
Worüber kannst Du Dich aufregen ? Ungerechtigkeiten bringen mich auf die Palme.
Deine Lieblingsmannschaften ? Früher war das Ipswich Town, UEFA-Cup-Sieger 1981. Seitdem fasziniert mich der englische Fußball mit seinem wahnsinnigen Speed und der einmaligen Atmosphäre. Ich denke nur an Jürgen Klinsmann, der Anfang der Neunziger mit Tottenham Hotspur Schlagzeilen machte, gleich in seinem ersten Jahr auf der Insel zum Fußballer des Jahres gewählt wurde. In Berlin schlug mein Herz für Union.
Deine Fußball-Idole aus der Kindheit ? Johan Cruyff, Franz Beckenbauer (Ich durfte nämlich nach meiner Karriere als Linksaußen die Rolle des freien Mannes übernehmen).
Deine persönliche Sternstunde ? Zweimal der Aufstieg mit der 32er Mannschaft von Berolina Stralau in die Landesliga.
Deine größte sportliche Niederlage ? Aktuell die Niederlagen gegen Mahlsdorf und Weißensee, zwei der schmerzhaftesten der Saison.
Was würdest Du als Bundestrainer sofort machen ? Ich würde Torsten Frings sofort signalisieren, dass für ihn die Tür lange, lange offen ist, denn für Frings gibt es keinen gleichwertigen Ersatz. Vorher hätte ich versucht Timo Hildebrand zu verklickern, dass es schlauer ist, nicht nach Spanien zu wechseln. Automatisch verschwindest du etwas aus dem Focus des Bundestrainers.
Dein Lebensmotto ? Sei ehrgeizig, aber sieh nicht alles zu verbissen. Geh´mit einem
Augenzwinkern an alles ran.